2015_Sardinien_Markus_Tour

Sechs Tage lang mit dem Rucksack durch die Wildnis, unter den Sternen schlafen, wunderschöne einsame Landschaften entdecken und jede Menge Abenteuer erleben: Das ist die Selvaggio Blu (‚Das wilde Blau‘) – eine der schönsten, aber auch schwersten Touren Italiens, an der Ostküste von Sardinien. Hört sich ziemlich verlockend an oder? Fanden wir auch!

So kam es, dass Timon, mein Bruder Thomas und ich (Markus) bereits kurz nachdem wir von diesem Abenteuer Wind bekommen hatten schon fest entschlossen waren: Diese Tour muss bezwungen werden!

Nicht lange später gleich mal Flüge gebucht. Jetzt mussten wir da also wirklich durch, denn wer will schon einen Flug umsonst buchen. Los ging´s mit den Vorbereitungen. Noch ein paar wichtige Ausrüstungsgegenstände besorgt, 65 +10 Liter Rucksack, Wassersack, ganz viel Essen… und mit der Planung begonnen. Die verfügbaren Informationen über die Tour sind noch recht spärlich. Es gibt seit zwei Jahren eine englische Version des italienischen Guidebooks und noch ein paar mehr oder weniger gute Erfahrungsberichte, aber das musste reichen. Alles sah gut aus – wir waren motiviert!

Zwei Wochen vor Abflug der erster kleiner Rückschlag: Timon reißt sich beim Basketballspielen das Außenband an. Das wird knapp, aber so leicht lassen wir uns nicht unterkriegen. Die Tour wird also an das Ende unseres zweiwöchigen Sardinien-Aufenthalts verschoben, sonst bleibt der Plan erstmal unverändert.

2015_Sardinien_Markus_Tour

Die letzten Vorbereitungen sind getroffen und schon geht es los. Passend zum Beginn unserer Reise am 01.04.2015 mit dem Sturmtief Niklas. Der gesamte Zugverkehr in Bayern ist lahmgelegt. Unser Flug geht von Karlsruhe Baden Baden aus. Zum Glück haben wir auf Spontanität gesetzt und erst am Abreisetag eine Mitfahrgelegenheit gebucht. Ein bisschen Stau, aber wir kommen spät abends in Karlsruhe an. Eine Nacht Couchsurfen und am nächsten Morgen ab zum Flughafen. Die viel zu großen Rucksäcke gehen zum Glück ohne Probleme als Handgepäck bei unserem Flug durch. Läuft.Wir landen in Cagliari und genießen für die nächsten 6 Tage erstmal Sonne, Pizza und den guten Wein Sardiniens. Die Planung für die Zeit vor dem Selvaggio Blu war eher begrenzt. Wir hitchhiken, erkunden und schlafen draußen in irgendwelchen Ruinen – davon gibt es auf Sardinien zum Glück genug – oder mal in dem schönen Garten einer unbewohnten Villa. Geile Zeit!

Die Tour rückt näher und die Vorbereitungen sind noch nicht abgeschlossen. Wir fahren mit dem Bus nach Lotzorai und treffen uns mit Peter aus dem Lemon House. Er bietet logistische Hilfe und Tipps an. Am Tag vor dem Start deponieren wir mit seiner Hilfe Vorräte, Teile der Ausrüstung und vor allem viel Wasser -davon gibt’s unterwegs nämlich gar nichts- an zwei Stellen in der Mitte der Tour. Unsere Vorräte bestehen zu einem Großteil aus Nüssen, Powerbars, Trockenfrüchten, Pumpernickel, Ramen Noodles und ein paar Packungen gefriergetrocknetes Outdoor Food. Die Sachen werden in der Nähe des Weges im Wald versteckt. Zusätzlich ein erster Testlauf für die GPS Uhr von Timon.

So, endlich alles bereit. Am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang geht es los. Wir sind motiviert und fit. Timons Fuß scheint der Belastung Stand zu halten. Das Wetter ist gut und soll auch so bleiben. Wir wollen am ersten Tag so weit wie möglich kommen, weil wir gegen Ende nicht unter Zeitdruck geraten wollen. Wir haben nur sechs Tage für die eigentlich für sieben Tage beschriebene Tour, weil wir sonst unseren Rückflug nicht erwischen. Es läuft gut, die erste Etappe ist zwar lang und steil, aber die Wegfindung ist noch recht einfach. Das ändert sich jedoch schnell. Oben auf dem Plateau angekommen ist der Weg schon viel schwieriger erkennbar. Überall Felsen und Büsche, alles sieht gleich aus und Steinmännchen scheinen auch in jede beliebige Richtung zu führen. Mithilfe der kargen Beschreibung im Guidebook und der GPS Uhr kommen wir langsam aber sicher voran. Wir können die GPS Uhr nur begrenzt nutzen, da wir keine Möglichkeit haben den Akku zu laden, würde alsp knapp werden für sechs Tage…

Alle paar Meter verliert man den Weg und muss sich durch die Macchia wieder zu ihm durchschlagen. An anderen Stellen haben wir gar keinen Plan, müssen in drei Richtungen ausschwärmen und per Zuruf Bericht erstatten. Bald erreichen wir das erste Mal die Kante der senkrechten Klippen, die bis zu 600 Meter zum Meer abfallen. Die Aussicht ist unglaublich. Man sieht sogar schon unseren Zielort, Cala Gonone, aber der Weg dorthin ist noch weit. Wir überholen drei schon etwas ältere Schotten, die bereits einen Tag vor uns gestartet waren, wir sind anscheinend recht flott unterwegs. Wie sich herausstellte waren die drei unsere einzigen Mitstreiter auf dem Selvaggio Blu. Nach ungefähr 11,5 Stunden mit nur kurzen Ess- und Trinkpausen erreichen wir unseren ersten Schlafplatz, eine schöne, einsame Bucht namens Porto Chuao. Ein gutes Abendessen aus Ramen Nudeln und dem Rest der Tagesration Nüsse und ab in den Schlafsack. Meine Isomatte hat ein Loch, die erste Nacht ist eher unkomfortabel. Am nächsten Morgen Isomatte geflickt – auf diesen Zwischenfall bin ich zum Glück noch vorbereitet – und weiter geht’s.

Die zweite Etappe ist ebenfalls lang, im Guide steht 8 Stunden. Wir werden besser in der Wegfindung und erweitern unsere Skills als Spurenleser. Es ist ziemlich heiß und wir sind froh, dass wir am ersten Tag schon so viel geschafft haben, denn unsere Wasservorräte sind knapp bemessen. Wir haben nur ungefähr 2,5 Liter pro Person pro Tag, plus ein bisschen was zum Kochen. Das sind trotzdem schon über 16 Liter, die am Anfang schwer im Rucksack liegen. Wir freuen uns also sehr als wir gegen Ende des Tages unser erstes Depot erreichen und alles unversehrt vorfinden. Andererseits wird jeder Rucksack dadurch wieder fast 10 Kilo schwerer. Die ganze Kletterausrüstung die wir ab jetzt brauchen werden, muss auch mitgeschleppt werden. Wir übernachten in der Cala Goloritzè, einer wunderschönen Bucht mit Sandstrand und beeindruckenden Felsen.

Am nächsten Tag in der Früh nehmen wir noch ein Bad im eiskalten Wasser und brechen deshalb etwas später auf. Kurz nach Beginn der dritten Etappe treffen wir am Einstieg der ersten Kletterstelle wieder auf die Schotten. Sie brauchen wegen ihrer bedachten Vorgehensweise ewig um den steilen Canyon zu überwinden. Wir müssen wegen starkem Steinschlag unten warten und verlieren viel Zeit. Es ist schon nach 13:00 Uhr, wir haben noch fast die ganze Etappe vor uns und diese soll auch noch die schwierigste sein. Nach über 2 Stunden klettern wir endlich los. Erst eine 8m Meter Kletterstelle, dann eine steile Scharte mit gefährlich lockerer Erde und Geröll und danach noch eine kurze Kletterstelle. Mit Sicherung an Bäumen und Anwendung unserer ganzen Bergsteiger- und Kletterskills kommen wir mit unseren schweren Rucksäcken jedoch nach 45 min unversehrt oben an. Und sofort geht es weiter, nach kurzer Zeit sind wir wieder an den Schotten vorbei und kämpfen uns durch die Wildnis. Der Weg ist wieder sehr schwer zu finden. Mit langer Suche und Bewältigung der ersten 15 Meter Abseilstelle schaffen wir es dennoch kurz vor Einbruch der Dunkelheit zu dem nächsten geplanten Schlafplatz. Unterwegs gibt es sogar einen Kanister in einer Tropfsteinhöhle, der mit von der Decke tropfendem Wasser gefüllt ist, und wir können unsere Vorräte ein wenig aufstocken.

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Auch der nächste Tag läuft vorerst gut. Wir finden gegen Abend nach kurzer Suche unser zweites Depot in der Macchia, der Rucksack wiegt wieder um die 20 kg. Wir wollen aber noch ein Stück weiter kommen und die nächsten zwei Abseilstellen mit 23 und 45 Metern bewältigen. Und dann: mein rechter Fuß knickt um, der Rucksack ist zu schwer um das Ganze abzufangen und ich fliege voll auf die Fresse! Nach kurzer Erholungspause für den Kreislauf und der Analyse meiner Verletzungen ergibt sich: Mein linkes Knie ist aufgeschlagen und geprellt, sowie die rechte Hüfte, weiterhin ein paar kleinere Schürfwunden, aber am Schlimmsten ist wohl der rechte Mittelfinger, der ist ziemlich stark geprellt ist und vorerst wohl nicht mehr benutzt werden kann. Schnell getaped, Rucksack wieder auf, ein paar Probeschritte. Meinem rechten Fuß geht es erstaunlich gut, alles tut weh, aber ich kann laufen. Also weiter geht’s. Wir sind mitten im Nirgendwo und wollen noch den nächsten Schlafplatz erreichen. An den Abseilstellen muss jetzt die linke Hand reichen. Das Abseilen verläuft zum Glück trotz Verletzung einwandfrei. Kurz darauf finden wir einen guten Schlafplatz.

2015_Sardinien_Markus_Tour

2015_Sardinien_Markus_Tour

Am nächsten Morgen wie gewöhnlich Pumpernickel mit Peanutbutter, dazu noch eine Schmerztablette und weiter geht’s. Wir haben noch zwei volle Tagesetappen vor uns. Bei der nächsten Kletterstelle müssen nun Timon und Thomas ihr Können beweisen, da ich nicht vorsteigen kann. Sie schlagen sich ausgezeichnet. Wir kommen alle gut oben an. Zum Glück ist die Stelle auch für mich mit verletztem Finger möglich. Inzwischen ist leider auch Timon‘s GPS Uhr abgestürzt und nicht mehr benutzbar. Man sollte sich also nie zu 100% auf Technik verlassen. Wir müssen deshalb noch einige Zeit für die Wegsuche aufwenden, aber letztendlich kommen wir in der wunderschönen Bucht Cala Sisine an und genießen den riesigen Strand, den wir ganz für uns allein haben. Es ist noch ein gutes Stück zu laufen, aber ab jetzt wird der Weg einfacher. Wir sind begeistert davon, wie schnell man vorankommt, wenn man nicht nach dem Weg suchen muss. In der nächsten Bucht, Cala Luna, übernachten wir. Langsam kommen wir auch wieder in zivilisierteres Gebiet, man sieht hin und wieder andere Leute. Die Füße sind geschunden und wir sind froh das Ziel in greifbarer Nähe zu haben.

Der letzte Tag unserer Tour bricht an. Wir machen noch Halt bei einem wunderschönen einsamen Strand und beginnen unseren Erfolg zu genießen. Bald darauf kommen wir in Cala Gonone an und feiern mit leckerer Pizza und gutem, aber dennoch preiswertem Wein. Wir sind erschöpft und überglücklich! Wir haben ihn wirklich bezwungen, den Selvaggio Blu. Eine unglaublich schöne und abenteuerliche Reise.

Vielen Dank an Timon und Thomas, meine unerschrockenen Mitstreiter!
Und an Peter aus dem Lemon House für seine vielen Tipps und die Unterstützung, die uns diese wundervolle Tour ermöglicht haben!